Benjamin Harders
Blankenese, Rissen, Sülldorf
Wahl am 26. Mai 2019 zur
Bezirksversammlung Altona

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Im September 1989 wurde von der Arbeitsgruppe unabhängiger Stadt- und Verkehrsplaner (Argus) die Auswertung „5 Jahre Erfahrungen mit Tempo-30-Zonen in Hamburg“ im Auftrag der Baubehörde Hamburg, Tiefbauamt, Gesamtverkehrsplanung, vorgelegt. Diese Auswertung beinhaltet das Tempo-30-Konzept, das noch heute in Hamburg Anwendung findet und hier auszugsweise wiedergegeben wird oder hier als PDF verfügbar ist.

AUSGANGSLAGE

Der Straßenraum hat nicht nur Verkehrsfunktionen zu erfüllen. Speziell in Wohngebieten ist Wert darauf zu legen, daß die Aktivitäten der unterschiedlichen Straßenraumnutzer partnerschaftlich realisiert werden können. Zwischen den z.T. konkurrierenden Ansprüchen – z.B. sichere Befahrbarkeit auf der einen und sicherer Aufenthalt auf der anderen Seite – muß ein sozial und umweltverträglicher Kompromiß gefunden werden. Es muß Ziel einer am Menschen orientierten Verkehrsplanung sein‚ gerade in den Wohngebieten, wo die meisten Menschen leben und einen Großteil ihrer freien Zeit verbringen, die Unfallgefährdung abzubauen und die vom Kraftfahrzeugverkehr‘ ausgehenden Beeinträchtigungen zu verringern. Hierbei sind gesamtstädtische Belange wie die Gewährleistung des Wirtschaftsverkehrs oder die Abwicklung des Busverkehrs ebenso zu berücksichtigen wie die Verhaltensweisen der Menschen und insbesondere auch die Einsichtsfähigkeit der Kraftfahrer.

In der Vergangenheit waren die Planungs- und Entwurfsrichtwerte und die Ausbaustandards für Stadtstraßen überwiegend auf die Belange des Kfz-Verkehrs ausgerichtet. Als Folge stellten sich nichtangepaßte Fahrgeschwindigkeiten auch in Bereichen ein, die vorwiegend der wohn-‚ Freizeit- und Aufenthaltsnutzung dienen. Unverträglich hohe Fahrgeschwindigkeiten gelten als häufigste Unfallursache und gefährden besonders Kinder, ältere und hilfsbedürftige Personen. Bild 1 sind die Zusammenhänge zwischen der Aufprallgeschwindigkeit und der Wahrscheinlichkeit des Überlebens bei einer Kollision mit einem Kraftfahrzeug zu entnehmen. Erkennbar ist die drastische Abnahme der Wahrscheinlichkeit des Überlebens bei Aufprallgeschwindigkeiten über 40 km/h.

Faltblatt_Polizei

Die Ansätze, die Sicherheit der „schwachen Verkehrsteilnehmer“ durch rechtliche Festsetzungen zu gewährleisten‚ sind nahezu so alt wie das Automobil. Im Jahre 1910 wurde erstmals vom Gesetzgeber eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h für Innerortsbereiche eingeführt. Seit 1957 gilt in geschlossenen Ortschaften generell die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h.

Im Jahre 1980 wurde die Straßenverkehrsordnung (StVO) novelliert und um Bestimmungen, die den innerörtlichen Verkehr betreffen, ergänzt. Die Schutzvorschrift des § 3 Abs. 2a der StVO schreibt vor, daß durch eine Verringerung der Fahrgeschwindigkeit und erhöhte Bremsbereitschaft eine Gefährdung von Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Personen ausgeschlossen sein soll. Wie aktuelle Unfallbilanzen ausweisen, ist diese Verhaltensmaßregel nicht ausreichend in das Bewußtsein der Fahrzeuglenker gedrungen. Die Vorschriften des § 45 der StV0 lassen es zu, nicht nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung‚ sondern allgemein auch zum Zwecke der Verkehrsberuhigung regelnd in den Verkehrsablauf einzugreifen. Zusätzlich wurde durch die Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen mit Hilfe der Zeichen 325/326 StVO ein Weg hin zu einer - räumlich begrenzten - Geschwindigkeitsdämpfung beschritten.

Wie umfangreiche Untersuchungsergebnisse belegen (vergleiche Großversuch in Nordrhein-Westfalen‚ 1980 und Ergebnisse des Umweltbundesamtes, 1985), lassen sich durch Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung Unfallreduzierungen und Verbesserungen der Umfeldqualitäten erreichen. Allerdings wird deutlich, daß diese Effekte nur durch kostenintensive Umgestaltungen zusammenhängender Straßennetze zu bewirken sind. Folgerichtig galt es, weniger kostenaufwendige Maßnahmen zu erproben, von denen eine Geschwindigkeitsdämpfung in geschlossenen Ortschaften erwartet werden kann.

Durch die „Kommission für Verkehrssicherheit“ (Sogenannte Höcherl-Kommission) wurde die Empfehlung ausgesprochen, Tempo 30 für Wohnquartiere in einem fünfjährigen Versuch zu testen.

Durch die zum 1. März 1985 in Kraft getretene „Verordnung über die versuchsweise Einführung einer Zonen-Geschwindigkeits-Beschränkung (Zonengeschwindigkeits-Verordnung) sind die Voraussetzungen für eine Ausweisung von gebietsumfassenden Geschwindigkeitsbeschränkungen gegeben. Danach kann „... für abgrenzbare Bereiche, die Straßen gleichartiger Merkmale aufweisen, eine für die gesamte öffentliche Verkehrsfläche dieses Bereichs wirkende Geschwindigkeits- Beschränkung...“ angeordnet werden. Die entsprechenden Zonenschilder werden nur an den Grenzen der ausgewählten Gebiete aufgestellt und im Gebiet selbst nicht wiederholt. Auch wenn dass Prinzip des Zonenkonzeptes auf den ersten Blick durch eine verblüffende „Einfachheit“ besticht, stellt es doch an die Umsetzung vor Ort und natürlich an die Kfz-Lenker hohe Anforderungen.

Wie umfangreiche Versuche belegen, hat sich seit Einführung der Zonengeschwindigkeits-Verordnung, in der keine Grenzwerte vorgegeben waren, eine Höchstgeschwindigkeitsgrenze von 30 km/h bewährt.

DAS HAMBURGER KONZEPT

Schon 1983 wurde das „Konzept zur Verlangsamung des Verkehrs in Wohngebieten durch Tempo 30“ beschlossen. Das Konzept ist als Gemeinschaftsarbeit zwischen der Behörde für Inneres, der Baubehörde und der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft entwickelt worden. Mit Hilfe dieses Konzeptes sollen die Kraftfahrer zu einer rücksichtsvolleren Fahrweise veranlaßt werden, um damit die Gefährdung der schwächeren Verkehrsteilnehmer zu mindern‚ ohne die Abwicklung des Gesamtverkehrs zu behindern. Das Konzept konzentriert sich zunächst auf Wohngebiete,
• da hier immer mit Fußgängern und vor allem mit spielenden Kindern zu rechnen ist,
• da in Wohnstraßen am wenigsten verkehrstechnische Sicherungen vorhanden sind und
• hier der Schwerpunkt für Ansätze zu einer notwendigen Umfeldverbesserung gesehen wurde.

Das Hamburger Konzept zur Verlangsamung des Verkehrs in Wohngebieten zielt auf eine sich langfristig einstellende Bewußtseinsänderung zum Geschwindigkeitsverhalten ab.

Als Kernstück des Konzeptes wurde von einem Straßennetz mit übergeordneter Bedeutung für den Wirtschafts- und den innerstädtischen und überörtlichen Durchgangsverkehr ausgegangen. Dieses Straßennetz setzt sich zusammen aus den klassifizierten Straßen‚ weitere wichtige Straßen für den innerörtlichen Verkehr sowie den Straßen, auf denen Buslinien verkehren. Insgesamt soll dieses Straßennetz von Verlangsamungsmaßnahmen ausgeschlossen bleiben.

Modifikationen dieses Netzes bedürfen der Zustimmung der drei zuständigen Fachbehörden. Dieser Umstand verlieh diesem Straßennetz den Namen „Vorbehaltsnetz“. Rund 1.300 km – das entspricht rund einem Drittel des Hamburger Straßennetzes – gehören dem Vorbehaltsnetz an.

Alle Wohngebiete abseits des Vorbehaltsnetzes können als Tempo 30-Zonen ausgewiesen werden. Mischgebiete können einbezogen werden, wenn die Wohnnutzung überwiegt. Alle anderen Gebietstypen bleiben von der Tempo 30-Regelung ausgespart.

Mit der Bekanntgabe des Konzeptes durch die Fachbehörden (diese sind vergleichbar mit den obersten Landesbehörden in anderen Bundesländern) lag es bei den kommunalen Gremien der Bezirke und Ortsämtern‚ die Auswahl der für eine Tempo 30-Zoneneinrichtung geeigneten Wohngebiete in Zusammenarbeit mit den örtlichen Straßenverkehrsbehörden zu treffen und umzusetzen. 1984 wurde in allen sieben Hamburger Bezirken das Konzept durch entsprechende kommunalpolitische Beschlüsse in die Realisierungsphase überführt.

Die Form und Art der Beschilderung wurde nach europäischen Richtlinien entworfen und in modifizierter Form in die ab März 1985 gültige Zonengeschwindigkeits-Verordnung übernommen. Als Besonderheit in Hamburg gilt, daß das Tempo 30-Zonenschild mit dem Zusatzschild „ohngebiet“ kombiniert wird (siehe Bild 2). Der besondere Charakter der Tempo 30-Zonen gerade für den Schutz und die Verbesserung des Wohnumfeldes soll hiermit betont werden.

UMSETZUNG DES HAMBURGER KONZEPTES

Das Konzept geht von einer flächendeckenden Einrichtung von Tempo 30-Zonen aus. Nicht einzelne Straßen, sondern möglichst geschlossene Quartiere sind zur Verlangsamung des Verkehrs vorzusehen‚ um kleinräumige Verdrängungseffekte zu vermeiden. Die Zonen ergeben sich im wesentlichen aus der Festlegung des Vorbehaltsnetzes und einer Beschränkung auf Wohngebiete.

Grundsätzlich soll zunächst nur die Zonen-Geschwindigkeits-Beschränkung angeordnet werden. Bauliche Umgestaltungen waren aufgrund der finanziellen Möglichkeiten weitgehend ausgeschlossen. Im Einzelfall waren solche Maßnahmen, wenn dies punktuell sinnvoll bzw. notwendig erschien, in einer zweiten Umsetzungsphase vorgesehen. Insoweit ermöglicht das Konzept eine stufenweise Verkehrsberuhigung unter Beachtung eines sparsamen Mitteleinsatzes.

Konzeptionell ist Wert darauf gelegt worden, bei der Bevölkerung eine möglichst breite freiwillige Bereitschaft zur Geschwindigkeitsreduzierung zu erreichen. Aus diesem Grunde ist auch eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt worden (siehe Bild 2).

Faltblatt_Polizei

Bei der Umsetzung waren folgende Ausführungsgrundsätze zu beachten:
• Die Gebiete sollen klar abgrenzbar sein.
• Die Ausdehnung der Zone soll begrenzt, der Fahrtweg aus der Zone heraus bis zu den nächsten übergeordneten Straßen nicht länger als 300 m bis 500 m sein.
• Die Straßen der Zone sollen als Wohnstraßen erkennbar sein. Das in Hamburg obligatorische Zusatzschild' „WOHNGEBIET“ verdeutlicht diesen Sachverhalt zusätzlich.
• Die Straßen innerhalb der Zone sollen gleichartigen und verkehrlich gleichrangigen Charakter aufweisen. Die Zonenbeschilderung soll grundsätzlich etwa 50 m von der übergeordneten Straße abgesetzt in der Zone aufgebaut werden, um den Kraftfahrer in der Einbiegesituation nicht zu überfordern.
• Bauliche Maßnahmen sollen so gestaltet werden, daß Rettungsfahrzeuge nicht behindert werden. In der Praxis bedeutet dies, daß auf extreme bauliche Hindernisse verzichtet wird.
• Alle geschwindigkeitsfördernden Einrichtungen und Anordnungen innerhalb der Zone sind soweit wie möglich abzubauen bzw. aufzuheben. Hierzu zählen im wesentlichen:
• strikte Anwendung der Vorfahrtsregel „Rechts-vor-Links“
• Entfernung der Lichtsignalanlagen (auch die für Fußgänger)
• Entfernung der Leitlinien in der Straßenmitte
• Aufhebung von Fußgängerüberwegen
• Parken an Fahrbahnrand und nicht auf den Gehwegen
• weitgehender Fortfall vorhandener Verkehrszeichen, insbesondere Park- und Halteverbote am Straßenrand
• Aufhebung von Einbahnstraßen-Regelungen.